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Wie Perestroika und Glasnost unser Jahrhundert prägten

Ein Nachruf von Christoph Matschie

Ich erinnere mich noch gut an das Erstaunen, mit dem viele von uns die seit 1985 eingeleiteten Veränderungen in der Sowjetunion verfolgten. Plötzlich war da jemand, der das festgefügte und lähmende System aufbrach und sich Offenheit und Wandel auf die Fahnen geschrieben hatte. Ein neuer Ton hatte Einzug gehalten, der uns elektrisierte. Glasnost und Perestroika wurden zu Begriffen, die auch vielen Menschen in der DDR neue Hoffnung gaben. Die verkrustete DDR-Führung stemmte sich zwar gegen diesen Wandel, aber der Geist der Veränderung war aus der Flasche und ließ sich nicht mehr einsperren.

Der Kontrast zwischen Berlin und Moskau wurde so zu einem Katalysator der ohnehin wachsenden Unzufriedenheit in der DDR. Auf diese Weise schuf er auch eine Voraussetzung dafür, dass sich im Herbst 1989 immer mehr Menschen trauten, gegen die DDR-Führung auf die Straße zu gehen – zumal die Rote Armee in den Kasernen blieb und Gorbatschow sich der friedlichen Revolution nicht entgegenstellte. Ohne seine Politik – auch nach dem Mauerfall – wäre die deutsche Einheit nicht gelungen. Gorbatschow hat die Umbrüche in Europa 1989/90 möglich gemacht und den Kalten Krieg beendet. Das wird auf immer sein historisches Verdienst bleiben.

Dazu gehören auch die enormen Abrüstungsschritte bei Atomwaffen, die von 1987 bis 1991 zwischen der Sowjetunion und den USA vereinbart wurden.

Gescheitert aber ist Gorbatschow mit seinem Versuch, die Sowjetunion politisch und wirtschaftlich zu erneuern und damit handlungsfähig zu erhalten. Die Wirtschaft lag am Boden und die Staaten des Riesenreiches drängten auf ihre Unabhängigkeit und so wurde im Dezember 1991 das Ende der UdSSR besiegelt und Gorbatschow trat zurück. Die danach einsetzende ungezügelte Einführung kapitalistischer Verhältnisse stürzte viele Menschen in Elend und Chaos. Am Ende musste der letzte sowjetische Staatschef erleben, dass ihn in Russland viele als Zerstörer der russischen Größe und als Verräter betrachteten. Für mich aber gehört er trotz mancher Schwächen und Widersprüche zu den großen, prägenden politischen Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wir Deutsche sind ihm zu Dank verpflichtet.