Chronik des Rechtsterrorismus des „NSU“
26. Januar 1998:
Die drei Nazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe tauchen ab, nachdem ihr Bombenwerkstatt von der Jenaer Polizei ausgehoben wurde.
18. Dezember 1998:
Böhnhardt und Mundlos überfallen einen Supermarkt in Chemnitz – der erste Überfall von mindestens 15 bis 2011, bei denen insgesamt rund 600 000 Euro erbeutet werden.
9. September 2000 bis 29. August 2001:
Innerhalb von elf Monaten ermordet der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) den Blumenhändler Enver Simsek, den Schneider Abdurrahim Özüdogru und die Obsthändler Süleyman Tasköprü und Habil Kiliç.
25. Februar 2004 bis 6. April 2006:
Der „NSU“ ermordet den Verkäufer Mehmet Turgut und die Kleingewerbetreibenden Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halit Yozgat.
9. Juni 2004:
Der NSU verübt in der Kölner Keupstraße ein Bombenattentat. 22 Menschen werden verletzt, manche schwer.
25. April 2007:
Die Bereitschaftspolizistin Michèle Kiesewetter wird in ihrem Dienstfahrzeug in Heilbronn erschossen. Ihr Kollege überlebt schwer verletzt.
4. November 2011:
Mundlos und Böhnhardt werden nach einem Überfall auf eine Sparkasse in Eisenach erschossen in ihrem Wohnmobil aufgefunden. Die Ermittlungen ergeben: Suizid. In Zwickau legt Beate Zschäpe in der Wohnung Feuer, in der sie mit Mundlos und Böhnhardt lebte.
8. November 2011:
Nach viertägiger Flucht stellt sich Beate Zschäpe in Jena der Polizei. In den darauffolgenden Tagen gibt es bundesweit Demonstrationen und Mahnwachen der Zivilgesellschaft.
15. November 2011:
Bund und Länder einigen sich auf ein gemeinsames „Abwehrzentrum Rechtsextremismus“, das Informationen besser vernetzen soll.
Ab 2012:
Das Bundeskriminalamt überprüft nach eigenen Angaben 4000 bisher unaufgeklärte Tötungs- und mehr als 100.000 Sprengstoffdelikte auf eine Verbindung zum NSU.
23. Februar 2012:
Im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt findet ein Staatsakt zum Gedenken an die Opfer des NSU statt. Angela Merkel bittet um Verzeihung und verspricht, alles zu tun, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner zu finden.
2. Juli 2012 bis 30. Juni 2013:
Der Chef des Bundesamts und die Chefs der Landesämter für Verfassungsschutz (bzw. ihre Stellvertreter) in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin verlieren ihre Jobs.
6. Mai 2013:
Vor dem 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts beginnt der NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte.
Sommer 2016:
DNA-Spuren Uwe Böhnhardts werden an einem Stoffstück entdeckt. Es stammt von dem Ort, an dem man im Juli die Leiche der neunjährigen Peggy Knobloch gefunden hat. Eine falsche Fährte: Verunreinigtes Material ist offenbar durch die Spurensicherung an den Leichenfundort gelangt.
25. Juli 2017:
Im Prozess beginnt das Plädoyer der Bundesanwaltschaft. Fragen nach weiteren Tätern des NSU bezeichnet sie als „Fliegengesumme“.
2018:
Mit dem Urteil geht einer der wichtigsten Strafprozesse der deutschen Geschichte zu Ende. Beate Zschäpe wurde im Zuge des Prozesses als Mittäterin bei der Ermordung von zehn Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt.
19. August 2021:
Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Rechtsterroristin Beate Zschäpe und der beiden NSU-Helfer Ralf W. und Holger G. verworfen. Die Urteile durch das Oberlandesgericht München von 2018 sind damit rechtskräftig.
Diese Chronik wurde anhand der Artikel des Stern und der Tagesschau erstellt.
Exactly – Das rechte Terrortrio und seine Helfer – 10 Jahre danach. Ein Dokumentation von MDR Investigativ.
Als die Reporter Arndt Ginzel und Thomas Datt 2011 ihre Recherchen begannen, glaubten sie noch, einem rätselhaften Kriminalfall auf der Spur zu sein. Die schockierende Erkenntnis kam Tage später: die drei hatten als „Nationalsozialistischer Untergrund“ 10 Menschen getötet. Jetzt – zehn Jahre nach dem Auffliegen des NSU – begeben sich die Reporter noch einmal auf Spurensuche im Umfeld des Terror-Trios. Was ist aus den vielen Helfern geworden, die dem Terror-Trio ein knapp dreizehn Jahre langes, unerkanntes Leben im Untergrund ermöglichten, ihnen Wohnungen, Identitäten und Waffen beschafften? Sind die Unterstützer von damals inzwischen ausgestiegen, oder sind sie noch immer in der rechten Szene aktiv?
Die Perspektive der Opfer
„Schmerzliche Heimat – Deutschland und der Mord an meinem Vater“ von Semiya Simsek
Zweimal brach für Semiya Simsek eine Welt zusammen: das erste Mal am 9. September 2000, als ihr Vater Enver Simsek erschossen wurde. Da war sie vierzehn Jahre alt. Und dann, als nach über elf Jahren die Hintergründe der Tat ans Licht kamen: Es war der erste von zehn Morden des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU). Nun berichtet Semiya Simsek, wie das Verbrechen ihr Leben und ihr Vertrauen in Deutschland erschütterte – das Leben einer türkischen Einwandererfamilie, für die dieses Land längst Heimat war. Enver Simsek hatte es vom Hilfsarbeiter mit viel Fleiß zum Blumengroßhändler gebracht – eine deutsche Karriere. Doch nach seiner Ermordung wurde seine Familie von der Polizei, die Mafiakontakte vermutete, jahrelang verdächtigt, bedrängt und ausspioniert. Ein Buch über einen der größten politischen Skandale der letzten Jahrzehnte und das aufwühlende Schicksal einer Familie.
Simsek, Semiya (2013): Schmerzliche Heimat – Deutschland und der Mord an meinem Vater, Rowohlt-Verlag.
Zum Angucken
Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Der NSU-Prozess. Die Opfer. Der rechte Terror.“ (Erfurt 2017)
Dorothea Marx, MdL und Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag, Yavuz Selim Narin, Nebenkläger der Familie Boulgarides, Prof. Dr. Hajo Funke, Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin diskutierten über den aktuellen Stand der Aufklärung zu den NSU-Morden. Hier entlang.
Der NSU-Prozess – szenische Lesung der Protokolle.
Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte in jedem Jahr des NSU-Prozess eine Lesung aus den Protokollen. Die SZ-Magazin-Autoren Annette Ramelsberger, Tanjev Schultz und Rainer Stadler haben das Verfahren auf mehr als 500 Seiten mitprotokolliert und dann verdichtet.
Zum Nachlesen
Die Mordopfer im Portrait
Die Taten des NSU gelten als die größte rechte Mord- und Anschlagsserie der Bundesrepublik Deutschland – und die Opfer stehen dabei viel zu selten im Fokus. Hier geht es zum Artikel.
„Blut und Ehre – Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“ von Andrea Röpke und Andreas Speit
Die rassistisch motivierten Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mit vermutlich zehn Morden und mehreren Bombenanschlägen offenbaren eine neue Dimension rechtsextremer Gewalt. Doch dies ist kein Einzelfall. Seit 1949 haben Rechtsextremisten immer wieder Terrorgruppen gebildet, die nach ähnlichem Muster agierten: konspirative Kleinstzellen, Raubüberfälle zur Geld- und Waffenbeschaffung, Anschläge gegen Migranten, politische Gegner und gesellschaftliche Einrichtungen. Der Blick hinter die Kulissen offenbart, dass die Gewalttäter von gestern und heute keineswegs isoliert tätig sind und dass die von ihnen ausgehende Gefahr von den Behörden jahrzehntelang unterschätzt wurde. Andrea Röpke und Andreas Speit haben die Szene über viele Jahre beobachtet und frühzeitig auf diese Gefahren hingewiesen. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes legen in bewährt reportageartiger Darstellung einen Überblick zur gesamten Geschichte des rechtsextremen Terrors in der Bundesrepublik vor.
Röpke, Andrea; Speit, Andreas, (2013), Blut und Ehre – Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Ch. Links Verlag
NSU-Watch bündelt alle wichtigen Informationen
Seit Jahren ist der dieser Blog eine gute Anlaufstelle für alle Informationen über den NSU. Zu NSU-Watch geht es hier entlang. Für die Initiative kann auf der Seite auch gespendet werden. Nach Ende des NSU-Prozesses leistet die ehrenamtliche Initiative weiter Aufklärungsarbeit.
„Staatsaffäre NSU. Eine offene Untersuchung“ von Prof. Dr. Hajo Funke
Hajo Funke rekonstruiert minutiös die Aufklärung, greift zurück auf die Ursache der neonazistischen Gewaltbewegung seit den 1990er-Jahren, beschreibt Spitzel als Brandbeschleuniger, die neonazistischen Terrornetzwerke und ihre Verstrickung mit den Sicherheitsbehörden. Er verweist auf die gefährliche Schwächung der Sicherheit – vor allem der rassistisch Bedrohten – und fordert einen zivilgesellschaftlichen Aufbruch gegen die Zumutungen der Zuständigen und den gesellschaftlichen Kampf gegen die Gefahren des gewalttätigen Rechtsextremismus und entsprechender Ideologen.
Funke, Hajo (2015): Staatsaffäre NSU. Eine offene Untersuchung, Kontu-Verlag.
Abschlussbericht der Enquete-Kommission gegen Rassismus und Diskriminierungen
In der 6. Wahlperiode hat sich in Thüringen eine Enquete-Kommission mit Rassismus und Diskriminierungen auseinandergesetzt. Hier geht es zum Abschlussbericht.
Zum Nachhören
Zeit Verbrechen „Im braunen Sumpf“
In dieser Podcastfolge sprechen Sabine Rückert und Andreas Sentker mit der Reporterin Jana Simon über die ersten Anfänge des terroristischen NSU, hier.