Die Zukunft des Katastrophenschutzes in Thüringen

Positionspapier der SPD Thüringen

  • Der Klimawandel führt auch in Thüringen immer öfter zu wetterbedingten Katastrophen-lagen, wie Sturm, Starkregen, Hochwasser, Dürre und Waldbränden.
  • Die Katastrophenschützer werden gleichzeitig mit neuen Szenarien, häufigeren Einsätzen und sinkenden Zahlen, einsatzfähiger Helfer konfrontiert.
  • Die SPD sorgt gegenwärtig auf allen Politikebenen für eine gute Ausstattung der Katastrophenschutzorganisationen, sieht aber weiteren Handlungsbedarf.
  • Für die Zukunft möchten wir Strukturen schaffen, die den Anforderungen des Klimawandels Rechnung tragen und die Bevölkerung bei Extremwetterlagen bestmöglich schützt.
  • Im Mittelpunkt der Bemühungen stehen die verbesserte Ausstattung und Ausbildung der Einsatzkräfte und die Fokussierung auf die Bedürfnisse der Helferinnen und Helfer vor Ort.
  • Der Einsatz und die Ausbildung von Katastrophenschutzeinheiten soll europaweit nach den Prinzipien der Subsidiarität und Solidarität organisiert werden.

Die vergangenen Monate haben gezeigt: Auch in Thüringen ist der Klimawandel deutlich spürbar. Wetterextreme führen zu Überschwemmungen, Waldbränden und Sturmschäden. Wetter-phänomene, die in der Vergangenheit die Ausnahme waren, treten inzwischen wesentlich häufiger auf und strapazieren die Kräfte derer, die unsere Bevölkerung schützen. Diese Veränderungen stellen Feuerwehren, Rettungskräfte und Katastrophenschutzhelfer vor immer größere Heraus-forderungen.

Gleichzeitig wird es immer schwieriger den Brand- und Katastrophenschutz in der Fläche sicher-zustellen. Das deutsche Feuerwehrwesen – mit seinen weit verzweigten, sehr gut ausgebildeten, vor allem ehrenamtlichen Strukturen, braucht genauso wie andere Freiwilligenorganisationen konstanten Nachwuchs, um den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen. Der Demographische Wandel und die zunehmende Urbanisierung machen die Nachwuchsgewinnung immer schwieriger. Sowohl im ländlichen Raum als auch in den Städten braucht es wirksame Strategien um das Ehrenamt und damit die Struktur des Katastrophenschutzes dauerhaft zu stärken.

Wie soll also die Zukunft des Katastrophenschutzes in Thüringen aussehen? Welche Maßnahmen braucht Thüringen, um in Zukunft ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zu finden und zu motivieren?

Wir haben den Katastrophenschutz gestärkt

Die SPD Thüringen hat sich dieser Frage auf verschiedenen Ebenen gewidmet und möchte die Diskussion mit neuen Impulsen weiter vorantreiben. So wurden die Feuerwehren in Thüringen durch eine erhöhte Jugendfeuerwehrpauschale, Programme zur Mitgliedergewinnung und verbesserte Ausbildungsbedingungen und Kapazitäten an der Thüringer Landesfeuerwehr– und Katastrophenschutzschule (TLFKS) gestärkt. Neben den strukturellen Verbesserungen wurden mit der Erhöhung der Feuerwehrrente sowie der Fördersätze für Fahrzeuge und Neubauten Maßnahmen ergriffen, die sofort merkliche Verbesserungen gebracht haben. Der Beschluss für eine flächendeckende Brandschutzerziehung in den Schulen des Freistaats war bis dato die finale Maßnahme, die beim Bevölkerungsschutz und der Nachwuchsgewinnung helfen soll. Damit ist klar: In der aktuellen Legislaturperiode wurde vieles verbessert, was zuvor jahrelang unbeachtet blieb und so die Ehrenamtlichen im Land auf Verschleiß fahren ließ.

Auf Ebene des Bundes wurde ebenso der Bevölkerungsschutz nachhaltig gestärkt. Das wird vor allem im aktuellen Bundeshaushalt sichtbar:  Allein für Fahrzeuge der freiwilligen Feuerwehren wurden 100 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt. Das Beschaffungsamt des Bundesinnen-ministeriums wurde durch zusätzliche Stellen und Entfristungen gestärkt, das Technische Hilfswerk bekommt eine dringend benötigte, dritte Ausbildungsstätte und wird in diesem Jahr mit 2.000 Stellen aus dem Bundesfreiwilligendienst unterstützt. Zusätzlich wurde der Gerichtsfonds für Einsatzkräfte eingeführt. Dieser ermöglicht künftig Rechtsbeistand für Einsatzkräfte, die aufgrund eines Einsatzes mit juristischen Folgen rechnen müssen.

Auch in der Europäischen Union ist Solidarität im Katastrophenschutz ein wichtiges Thema für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Mit ihrer Beteiligung wurde der Plan zur Stärkung des gemeinsamen EU-weiten Katstrophenschutzes „RescEU“ entwickelt. Er soll den von Katastrophen betroffenen Mitgliedsstaaten mithilfe einer gemeinsamen technischen Einsatz-reserve schnelle und konkrete Hilfe zukommen lassen. „RescEU“ soll für Extremereignisse gelten, bei denen einzelne Mitgliedstaaten mit ihrer jeweiligen Ausstattung an Grenzen stoßen. Die Sozialdemokraten stehen hier weiter zum Subsidiaritätsprinzip, nach dem die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz originär nicht bei der EU liegt. Die EU-Ebene muss aber stärker als bisher für Solidarität und wechselseitige Unterstützung sorgen. Dieses Thema wurde beim letztjährigen Treffen des zuständigen EU-Kommissars Christos Stylianides mit Dr. Babette Winter und Georg Maier erörtert.

Auch wenn sich durch die genannten Initiativen viele Probleme nicht sofort lösen lassen, zeigt es doch: Die SPD Thüringen steht an der Seite unserer Helferinnen und Helfer! Damit wir auch in Zukunft auf sie bauen können, müssen wir uns auch jetzt Gedanken über die Zukunft des Katastrophenschutzes machen. Denn neue Herausforderungen, brauchen neue Ideen.

Wir sehen neue Herausforderungen

Besonders deutlich gezeigt haben das die Waldbrände in den vergangenen Wochen. Zwar haben die beteiligten Feuerwehren und Rettungskräfte die Einsätze mit großem Engagement erfolgreich beendet, gleichzeitig wurde aber ersichtlich, dass man es nun mit Katastrophenphänomenen zu tun hat, die für viele Helfer neu sind. Ein Wipfelbrand wie in Kleinbreitenbach ist ein völlig unbekanntes Szenario in Thüringen, welches erst durch die langen Dürreperioden seit dem vergangenen Jahr möglich wurde. Nur mithilfe von Löschhubschraubern aus anderen Bundesländern, deren Alarmierung sich als umständlich und langwierig erwies, konnte der Waldbrand effektiv bekämpft werden. Und auch wenn durch das Engagement des Ministeriums für Inneres und Kommunales nun wieder Luftlöschkapazitäten durch die Polizei in Thüringen bereitgestellt werden können, stellt sich die Frage, ob diese Kapazitäten für künftige Lagen ausreichend sind.

Historisch betrachtet hat der Zivil- und Katastrophenschutz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs massiv an Bedeutung verloren. Nach dem Subsidiaritätsprinzip wurde die Verantwortung vom Bund an die Länder und von dort an die Landkreise und Gemeinden delegiert. Innerhalb dieses Systems hat man die Ausbildung und Ausrüstung folgerichtig auf die klassischen Einsatzszenarien im Brandschutz und der Hochwasserbekämpfung ausgerichtet.

Heute, 30 Jahre später, hat sich die Welt grundlegend verändert. Auch in Thüringen musste man sich mit der Zeit auf mehr Einsatzszenarien einstellen und damit einhergehend, eine bessere Ausstattung und Schulung der Einsatzkräfte gewährleisten. Der Amoklauf von Erfurt, der ICE-Unfall von Eschede, aber auch Großveranstaltungen wie die Fußball-WM 2006 haben das Portfolio der Einsätze in ganz Deutschland nach und nach größer werden lassen. Die Polizei, die Rettungskräfte und die Katastrophenschutzorganisationen haben sich darauf eingestellt, stehen aber nun vor dem nächsten großen Paradigmenwechsel und brauchen daher eine Politik, die ihnen den Rücken stärkt.

 

Wir haben die Ideen für die Zukunft

Die rasante Veränderung des Klimas und die daraus folgenden Wetterlagen mit zunehmenden Starkregenereignissen und Dürreperioden bringen nochmals neue Szenarien, die meist schweres Gerät wie beispielsweise Großpumpen und Löschhubschrauber erfordern. Derartige Technik bereitzustellen, benötigt eine kluge Dislozierung und eine übergeordnete Koordination, in Abstimmung mit allen infrage kommenden Einsatzregionen.

Die zur Bedienung erforderlichen Kompetenzen übersteigen oft die Fähigkeiten des ehren-amtlichen Engagements und müssen durch hauptamtliche Strukturen übernommen werden. Dort wo sie ehrenamtlich möglich sind, braucht es eine qualitativ hochwertige Ausbildung. Der Einsatz von hochtechnisierten Ressourcen, wie satellitengestützter Waldbrandüberwachung oder eine vernetzte Flusspegelüberwachung und -vorhersage braucht eine gemeinsame europäische Koordination. Kurz, auch in vielen Fragen des Katastrophenschutzes gilt: #EuropaistdieAntwort

Diesem Ansatz folgend muss das Subsidiaritätsprinzip des Katastrophenschutzes Ebene für Ebene evaluiert und angepasst werden. Wir brauchen kurze und effektive Entscheidungswege, die durch Redundanzen auch bei Defekten in der sogenannten Kritischen Infrastruktur funktionieren. Der BOS-Funk bietet für den Bereich der Kommunikation eine hervorragende Grundlage. Er muss schnellstmöglich an alle Katastrophenschutzorganisationen ausgerollt werden. Für die schnelle und ortsunabhängige Bereitstellung von Lagebildern braucht es einheitliche Formate und klare Kompetenzzuordnungen. Dazu zählen auch deutschlandweit einheitliche Warnstufen für Waldbrände und Überschwemmungen. Durch die Einführung von Protokollen, die je nach Einsatzart und Größe der Lage, die dafür erforderlichen Kräfte alarmieren, können Krisenstäbe entlastet und Hilfsfristen verkürzt werden. Die Bevölkerungswarnung durch Systeme wie MoWas muss weiter ausgebaut und die zugehörige App NINA muss verpflichtend auf jedem ortungsfähigen Smartphone vorinstalliert sein.

Für schnelle und effektive Hilfe müssen die verschiedenen Organisationen ihre Zusammenarbeit verstärken und Synergien nutzen. Insbesondere dem THW wird bei klimabedingten Großlagen eine größere Bedeutung zukommen. Gemeinsame Übungen der verschiedenen Organisationen, die tagesaktuelle Bereitstellung von Informationen darüber, welche Geräte und Einsatzkräfte verfügbar sind sowie ein europäisches Austauschprogramm können mit vorhandenen Kapazitäten größere Effekte erzielen und die Attraktivität des Ehrenamtes stärken. Auch den verschiedenen Bildungseinrichtungen soll neben dem Ausbau ihrer Kapazitäten und der verstärkten Spezialisierung ein einfacherer Austausch zwischen den Organisationen ermöglicht werden. Eine besondere Rolle kann hier die Rolle des „EU-Solidaritätskorps“ spielen. Das Austauschprogramm für junge Menschen innerhalb der EU, die sich ehrenamtlich in anderen Mitgliedsstaaten einbringen wollen, sollte auf Katastrophenschutzorganisationen, insbesondere deren Jugendarbeit, ausgedehnt werden.

Natürlich muss dem Mehr an Aufgaben auch ein Mehr an Investitionen gegenüberstehen. Hier müssen vorhandene Kapazitäten genutzt und bedarfsgerecht ausgebaut werden. Die gemeinsame Nutzung der Einsatzmittel soll effizienter werden, daher muss von lokalen Feuerwehren über Technische Züge des THW bis zu den Löschflugzeugen, Hochleistungspumpen und Feldkrankenhäusern, die in der geplanten EU-Reserve vorgehalten werden sollen, Ebene für Ebene geplant werden. Regionale und nationale Kapazitäten müssen ergänzt werden, ohne Doppelstrukturen zu schaffen oder Versorgungslücken entstehen zu lassen. Für Thüringen heißt das, die Forderung nach einem Standort und die Vergrößerung der Flotte der Zivilschutz-Hubschrauber des Bundesinnenministeriums zu erneuern. Ihre vielseitige Einsetzbarkeit vom Krankentransport, zur Luftrettung, zur Löschung von Waldbränden oder dem Transport von Sandsäcken muss bundesweit einheitlich ausgebaut werden.

Wir wollen die Menschen motivieren zu helfen

Jedes noch so gute Konzept funktioniert nicht, wenn es niemanden gibt, der mit anpackt. Wir brauchen ebenso neue Ideen für das Ehrenamt, das den Großteil des Katstrophenschutzes abbildet. Das Prinzip Ehrenamt muss sich auf neue Lebenswelten und Lebensmodelle einstellen. Die Vereinbarkeit von Familie und Engagement muss stärker in den Fokus rücken. Freiwilliges Engagement ist so genannte Carearbeit an der Gemeinschaft, also Arbeit, die abseits von Erwerbsarbeit geleistet wird. Auch diese Stunden müssen dem persönlichen Zeitbudget entnommen werden. Es braucht also eine Strategie wie zum Beispiel Schichtarbeit, Montage, Kinderbetreuung oder wechselnde Arbeitsorte, mit dem Engagement im Katastrophenschutz in Einklang gebracht werden können.

Die Werbung für den freiwilligen Einsatz muss ausgebaut werden. Dazu zählen aber nicht nur Kampagnen um Jugendliche zu begeistern oder Schnupperangebote, sondern auch die Aufgabe überkommender Geschlechterstereotype oder das gezielte Anwerben von Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Abbild der Gesellschaft zu sein, hilft dem Katastrophenschutz auf vielen Ebenen. Weiterhin sollte die Information über die Arbeit und Möglichkeiten von Rettungsorganisationen ein Bestandteil der Lehrpläne in Schulen sein.

Natürlich darf der Einsatz für die Gesellschaft nicht zu Lasten der Engagierten gehen. Wir müssen Möglichkeiten finden, wie sich Einsatzkräfte bestmöglich und nach eigenen Bedürfnissen im Rahmen der zugelassenen Dienstmittel ausstatten. Nur so kann gewährleistet werden, dass alle Einsatzkräfte – unabhängig von der Finanzsituation der Kommune – mit dem besten Equipment arbeiten. Die zentrale Landesbeschaffung von Fahrzeugen und Ausrüstung der Feuerwehr kann ein weiterer Weg sein, um die Kommunen zu entlasten und damit das Gesamtsystem des Katastrophenschutzes zu stärken.

Respekt und Anerkennung für Geleistetes sind der wahrscheinlich wichtigste Faktor bei der Motivation von Helferinnen und Helfern. Das bedeutet zum einen, den Schutz vor leider immer häufiger werdenden Angriffen, aber auch der ehrliche und ausdrückliche Dank. Unsere Engagierten im Brand- und Katastrophenschutz tragen ihre Dienstuniformen zu Recht mit Stolz. Zu besonderen Anlässen zeigen sie nach innen die Zugehörigkeit der Gemeinschaft und nach außen, dass die Uniformträger besondere Aufgaben für das Land übernehmen. Dieses möchten wir in Zukunft mit dem fahrscheinfreien ÖPNV für Uniformträger unterstützen. Diese kleine Begünstigung soll dazu beitragen, den Respekt und die Wertschätzung gegenüber unseren Helfern zu steigern.

Und natürlich sind Rettungsorganisationen immer mehr als nur Einsatzkräfte, die im Notfall alarmiert werden. Sie sind sie Orte der Gemeinschaft, oft der Kern der gemeinsamen Aktivitäten im Ort. Es gilt die Faustregel: Je kleiner der Ort, desto mehr Aufgaben über den eigentlichen Vereinszweck hinaus, übernehmen Organisationen wie die Freiwillige Feuerwehr. Unsere Feuerwehren und Rettungsorganisationen sind Anker des ländlichen Raums. Sie bewahren Tradition, Gemeinschaft und Austausch – das muss immer wieder in besonderer Weise gewürdigt werden.


Babette Winter, Elisabeth Kaiser, Claudia Scheerschmidt, Georg Maier

 


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