Demokratie braucht ein Fundament: Beitrag von Georg Maier
Wenn man in Thüringen unterwegs ist, begegnen einem regelmäßig Orte deutscher Demokratie- und Verfassungsgeschichte – viele davon mit zwiespältiger Geschichte. Beispielsweise das Nationaltheater in Weimar, Ort der der verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919, aber im Jahr 1926 auch Stätte des ersten NSDAP-Reichsparteitags nach dem zeitweisen Verbot. Oder die Wartburg, auf der sich 1817 Studenten versammelten und erstmals Ansätze einer demokratischen Verfassung formulierten, am Rande des Wartburgfestes aber gleichzeitig Bücherverbrennungen und antisemitische Tiraden geschehen ließen. Es liegt an uns Demokraten, die heute Verantwortung tragen – egal ob in Regierung oder Opposition-, dass sich der Erfurter Landtag nicht in diese Aufzählung einreiht. Heute ist der Landtag Heimat der im dritten Anlauf geglückten Demokratie auf Thüringer Boden, aber er ist zunehmend auch Bühne der Rechtsextremisten um Björn Höcke, die versuchen die Demokratie mit allen Mitteln auszuhöhlen.
Wir dürfen dabei nicht vergessen: Der lupenreine Faschist Höcke und seine Anhänger treiben ihr Spiel nicht im Verborgenen. Der Angriff auf unsere Demokratie ist keine geheime Kommandosache, sondern er findet im Offenen statt. Nachzulesen und nachzuhören in zahlreichen Texten, Reden und Veröffentlichungen. So heißt es in Höckes Gesprächsbuch „Nie zweimal in denselben Fluß“, dass nur ein „alleiniger Inhaber der Staatsmacht ein zerrüttetes Gemeinwesen wieder in Ordnung bringen [kann.]“
Seit einigen Tagen diskutieren wir in Thüringen – wieder einmal – über die Änderung unserer Verfassung, auch wegen der Publikationen des Thüringen-Projekts. Jüngst habe ich vorgeschlagen, dass wir Artikel 70 der Landesverfassung verändern und die Wahl des Ministerpräsidenten neu und vor allen Dingen klarer regeln. Darüber hinaus braucht es aus meiner Sicht eine Begrenzung der Dauer der Regierungsbildung, so dass kein politisches Vakuum entstehen kann. Sowie andererseits eine Regelung für den Fall, dass die Wahl des Ministerpräsidenten nicht gelingt, um eine anhaltende Selbstblockade im Parlament zu verhindern. Also beispielsweise eine automatische Selbstauflösung des Landtags wie sie in Sachsen oder Baden-Württemberg nach drei bzw. vier Monate ohne erfolgreiche Ministerpräsidentenwahl festgeschrieben ist.
Mir geht es an dieser Stelle nicht um die technischen Feinheiten einer möglichen Verfassungsänderung, sondern vielmehr um Grundsätzliches. Warum ist eine Verfassungsänderung noch vor der nächsten Landtagswahl im September 2024 so wichtig?
Erstens, das Schmiermittel im Motor der AfD ist die Ungewissheit, die Verwirrung, das Chaos. Sie trachtet danach unsere demokratischen Institutionen lächerlich zu machen und das Scheitern demokratischer Prozesse aufzuführen. Wir dürfen uns nicht zu Komparsen in diesem populistischen Laienspiel machen lassen und müssen alle Unklarheiten beseitigen. Diese Feststellung von Unklarheiten rund um den dritten Wahlgang bei der Ministerpräsidentenwahl stellt übrigens in keiner Form die Legitimation des aktuellen Amtsinhabers infrage, auch wenn dies gelegentlich behauptet wird. Bodo Ramelow wurde 2020 mit mehr Ja- als Nein-Stimmen in einem dritten Wahlgang gewählt. Seine Wahl erfolgte also in einem Szenario, das heute keiner Klarstellung bedarf und die deshalb auch niemand fordert. Richtig ist: Widerstreitende Auslegungen gibt es allerdings bis heute darüber, ob bei nur einem Kandidaten im dritten Wahlgang er oder sie gewählt ist, wenn auf ihn oder sie mehr Nein- als Ja-Stimmen entfallen. Hier sei verwiesen auf die bemerkenswerte Rede zum Verfassungsjubiläum von Klaus von der Weiden, Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, in der er anmahnte, eine so zentrale verfassungsrechtliche Frage im Vorhinein zu klären, zum Beispiel durch eine eindeutige Formulierung im Verfassungstext. Jede Klarheit, die wir als Demokraten gemeinsam (!) schaffen, verkleinert den Raum für die Untergangserzählungen der AfD.
Zweitens geht es um eine ganz entscheidende Frage demokratischen Zusammenlebens. Auf den Juristen, Politikwissenschaftler und Sozialdemokraten Ernst Fraenkel geht die Unterscheidung zurück, dass funktionierende Demokratien zwei Bereiche benötigen. Einen „kontroversen Sektor“, in dem aktuelle Streitfragen verhandelt werden, und einen „nicht-kontroversen Sektor“, also der Konsens über Spielregeln, politische Kultur und demokratische Prinzipien. Die Strategie von Björn Höcke ist die Ausdehnung des „kontroversen Sektors“. Mit anderen Worten: Die Ausweitung der Kampfzone. Alles soll Teil des politischen Streits sein. Die Demokratie braucht aber ein Fundament, das außer Streit gestellt ist. Dazu zählen – neben anderen Dingen – die Spielregeln des politischen Wettbewerbs, wie die Wahl des Ministerpräsidenten. Gerade weil wir aktuell um so viele politische Fragen hart ringen, muss das Unstreitige eindeutig definiert sein. Deshalb sollten wir Demokraten diese Frage vor einem heraufziehenden Landtagswahlkampf klären – und erst recht vor der nächsten Ministerpräsidentenwahl.
Ich will zum Schluss noch einmal unterstreichen: Mir geht es dabei nicht um meine Vorschläge oder konkrete Formulierungen. Entscheidend sind Klarheit und ein Konsens der Demokraten. Daran müssen wir jetzt arbeiten.